Freitag, 27. Oktober 2023

3. Kapitel (F)

Und die Dame lächelte noch mehr, und als das Mädchen hinausgegangen war und der Vater Elli befohlen hatte, mitzugehen, konnte sie es sich nicht verkneifen, noch einmal das Gleiche zu erzählen – daß es ganz eigenartig sei, zu sehen, daß Tyyra ihre Puppe keinen Moment vergessen habe, sie kümmerte sich um sie, zog sie an und aus, befahl ihr, still zu sein, damit ihr Kindermädchen nicht aufwachte …
„Du hast eine sehr nette kleine Tochter“, sagte der Vater zu seinem alten Schulfreund.
Tyyra war ihr einziges Kind, sagte der Herr und die Dame … sie konnten sich keinen Augenblick von ihr trennen .. sie nahmen sie immer mit, wenn sie wegfuhren … doch sobald sie nach Hause kamen, mußten sie sich von ihr trennen, denn Tyyra mußte wieder zur Schule … und sie waren trauriger als das Kind selbst.
„Ach … die Herrschaften lassen ihre Tochter in die Schule gehen?“ fragte die Mutter.
„Ja, das ist doch notwendig. Wir haben beschlossen, unserem Kind die vollkommenste Erziehung zuteil werden zu lassen, wie wir nur können, und zu Hause kann sie nicht das lernen, was von einem gebildeten Menschen erwartet wird …“
„Das mag sein“, sagte die Mutter.
„Geht deine Elli noch nicht zur Schule?“ fragte der Herr den Vater.
„Nein, sie … noch nicht … Ich habe schon ein wenig darüber nachgedacht …“
„Tyyra geht schon seit zwei Jahren zur Schule, und wir haben wirklich gemerkt, daß sowohl ihre Kenntnisse als auch ihre sonstige Entwicklung, geistig und körperlich, vor allem, wenn sie unter Menschen ist, große Fortschritte gemacht haben.“
„Ja, man merkt wirklich in jeder Hinsicht, daß sie gut erzogen ist“, sagte der Vater. „Auf welcher Schule ist sie denn?“
„Es ist die beste Schule in unserem Land, die deutsche Mädchenschule in der Hauptstadt.“
„Das ist sicher teuer?“
„Ja“, sagte der Herr, „aber unserer Meinung nach ist es die Pflicht der Eltern, dem Kind eine Erziehung angedeihen zu lassen, die wie gesagt den Anforderungen der Zeit entspricht, in der wir leben, oder vielleicht eine noch bessere. Und es ist notwendig für ein Mädchen, dessen Wirkungskreis und Lebenszweck die Ehe ist, auf der sie alles aufbaut. Darum ist es nötig, daß sie, wenn sie heiratet …“
„Nun, August“, wies ihn seine Frau zurecht, „jetzt fängst du schon wieder davon an – es ist noch zu früh, um darüber zu reden …“
„Sag das nicht, Mama, nichts ist zu früh, wenn es um das Glück des Kindes geht.“
„Ja, ja, das stimmt.“
„Nun, was wollten Sie sagen – wenn sie heiratet?“ fragte die Mutter.
„Daß eine Ehefrau, die eine gute Bildung genossen hat, ihren Mann und ihre Familie viel besser glücklich machen kann als ohne – das habe ich in meinem Beruf als Pfarrer oft genug bemerkt, und deshalb habe ich …“
„Das ist völlig richtig, das ist völlig richtig“, sagte der Vater beinahe eifrig, doch die Mutter saß eine Weile da und starrte ernst vor sich hin. Dann stand sie auf und ging nachsehen, ob der Kaffee schon fertig war.

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5. Kapitel (G)

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