Sonntag, 15. Oktober 2023

2. Kapitel (E)

Wenn sie nur gewußt hätte, wie es richtiger gewesen wäre, und verstanden hätte! Aber woher sollte sie das wissen? Sie war ja auf die gleiche Art erzogen worden, wie sie Elli erziehen wollte. Doch eben daran zweifelte sie jetzt … vielleicht wäre für sie auch etwas anderes besser gewesen. Und wenn das so war, mußte sie ihre Tochter leben und so sein lassen, wie sie wollte, fröhlich sein, rennen, klettern und träumen, wenn ihr danach war. Aber vielleicht wäre es trotzdem besser, so etwas im Keim zu ersticken, so wie es bei ihr selbst getan worden war … damit es nicht für den Rest ihres Lebens Wurzeln in ihrem Geist schlagen würde. Sie selbst hatte nie der Natur ihren Lauf lassen dürfen, in keiner Hinsicht. Sie hatte kaum rennen dürfen, geschweige denn auf Bäume klettern und so zu tun, als könnte sie fliegen. Das war unpassend und eine Sünde. Auch wenn sie selbst nie davon überzeugt gewesen war. Doch sie hatte damals gehorchen müssen und später auch. Nie hatte sie getan, was sie selbst gewollt hatte, immer das, was andere wollten. Und sie hatte sich daran gewöhnt und bis jetzt so gelebt. Wäre ihr Leben besser geworden, wenn sie nach ihren eigenen Wünschen gehandelt hätte, so wie manche andere auf dieser Welt? Doch das war ein falscher Gedanke und sündig noch dazu. Sie durfte nicht in Frage stellen, was erlaubt war, und nicht andere beneiden. Jedem war sein eigenes Schicksal bestimmt, und jeder mußte sein Kreuz geduldig tragen. Das hatte sie ein Leben lang lernen müssen, doch sie hatte es nicht wirklich gelernt. Niemals war alles in ihr erstickt worden, auch wenn sie es manchmal dachte. Vielleicht war man doch nicht so streng zu ihr gewesen … Vielleicht lag der Grund darin und nicht irgendwo anders ...

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5. Kapitel (G)

Und abends beim Schlafengehen, als der Vater schon gegangen war, bekam Elli, die in den kalten fremden Laken lag, eine solche Sehnsucht nach...