„Warum weinst du, Kind?“
„Laß mich auf den Baum … laß mich … ich falle schon nicht … oh, warum erlaubst du es nicht?“ Das Mädchen sprach immer noch im Halbschlaf vor sich hin, kam aber zu sich, als sie aufwachte. Und die Mutter mußte in dieser Nacht noch mehrmals das gleiche tun.
Aber am Morgen brachte sie es nicht übers Herz, es zu verbieten, und erlaubte dem Mädchen ungebeten, auf den Baum zu klettern. Und das Mädchen eilte nach draußen, kletterte auf die Birke, rief dort „Kuckuck“ und stellte sich vor, es wäre ein Vogel, der sofort in andere Länder fliegen könnte … weit ins Sommerland, wo die Wolken mit dem Nordwind dahinzogen und wo es noch höhere Bäume gab als hier und wo alle Menschen auf den Bäumen wohnten.
Aber in solchen Nächten lag die Mutter lange wach und wußte sich keinen Rat, was man mit dem Mädchen eigentlich machen sollte. Sicher verstand sie diesen Wunsch und zugleich auch wieder nicht … Diese Kletterei – und was, wenn sie fällt? Aber wenn jemand als Kind schon so anfängt, dann ist etwas in seiner Natur, das ihm, wenn es älter ist, nicht zustatten kommen wird … und Gott bewahre!
So dachte die Mutter, aber sie wollte den Gedanken nicht zu Ende denken und tröstete sich damit, daß sie sich vielleicht irrte und sich vielleicht ganz unnötig Sorgen machte. Wenn sie es nur selbst nicht so gut gewußt hätte.
Doch dann dachte Mutter, daß es vielleicht am besten wäre, mit dem Vater zu reden. Obwohl sie stark bezweifelte, daß das helfen würde. Der Vater verstand solche Dinge für gewöhnlich nicht.
Und der Vater faßte es völlig falsch auf.
„Ja, ich habe es schon gemerkt und mich gewundert, warum du es nicht verbietest … ja, es paßt nicht, und natürlich zerreißt sie ihr Kleid und ihre anderen Sachen … du mußt es ihr ein für allemal verbieten …“
„Vielleicht ist es besser, wenn du …“
„Wo ist sie? Ich sage es ihr sofort.“
Die Mutter rief Elli herein. Ihr kam es falsch vor, aber vielleicht war es doch am besten, wenn der Vater es einmal sagte …
Samstag, 7. Oktober 2023
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5. Kapitel (G)
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