Und als Elli sagte, sie könnte natürlich allein die Leiter hinauf und herunter, drohte ihre Mutter ihr Schläge an, wenn sie nicht blieb, wo sie war … und sich nicht mit den Händen festhielt, so lange, bis jemand kam und sie herunterholte.
Und Elli mußte warten, bis der Knecht kam, sie aus der Dachrinne hob und sie auf den Boden setzte.
Sie bekam keine Haue, aber eine ordentliche Strafpredigt. Was wollte sie da oben … auf dem Dach der Vorratskammer … und ohne Erlaubnis?
Sie wollte nur wissen, wieviel von der Welt man von dort sehen konnte … und es war doch so leicht, nach oben zu kommen …
Wieviel von der Welt! … Wenn sie nun gestürzt wäre und sich das Bein gebrochen hätte, dann wäre das die Welt gewesen! … Daran mußte man denken, wenn man so weit kletterte, daß …!
„Mutter, darf ich nie wieder auf das Dach der Vorratskammer? Ich falle schon nicht runter …“
„Nie wieder, merk dir das!“ stieß ihre Mutter wütend hervor und ging in die Küche.
„Ich steige doch wieder auf die Leiter“, sagte Elli zu sich selbst, aber die Bettlerkinder hörten es.
„Gnädige Frau!“ riefen sie. „Sie will immer noch die Leiter hinaufklettern …“
Jetzt wurde ihre Mutter erst richtig wütend. „Immer noch auf die Leiter … nicht einmal auf die unterste Stufe … mit keinem einzigen Fuß … merk dir das!“
Elli brach in Tränen aus und ging in ihr Zimmer, um sich auszuweinen. Von dort aus ging sie in den Garten und tat dort dasselbe … Sie durfte nie wieder auf das Dach der Vorratskammer steigen … nicht mehr bis zum Strand, über die Felder und bis zur Landstraße schauen, wo Menschen unterwegs waren … und nicht mehr so allein sein, daß niemand sie sah!
„Warum ist diese Welt so ein Jammertal?“ Das hatte sie ihre Mutter manchmal seufzen hören, und ihr war danach, genau dasselbe zu seufzen.
Und sie fühlte sich fast erwachsen. Angst stieg in ihr auf. Die Tränen trockneten, als sie im Garten bei der Birke stand und die Rinde abfledderte.
Die Zeit verging, und Elli kniff den Mund zusammen, warf sich rücklings auf den Rasen und verschränkte die Hände unter dem Kopf. Und dort hockte sie lange mit zusammengekniffenem Mund und dachte, daß man sie nun nicht mehr in luftiger Höhe finden würde, wenn man sie suchte … und sie brauchten nicht zu befürchten, daß sie hier herunterfallen würde … pff, wirklich nicht!
Dienstag, 3. Oktober 2023
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
5. Kapitel (G)
Und abends beim Schlafengehen, als der Vater schon gegangen war, bekam Elli, die in den kalten fremden Laken lag, eine solche Sehnsucht nach...
-
Der Vater tadelte sie wegen des zerrissenen Kleides, aber die Mutter war beinahe zufrieden, als sie sah, daß es Elli nichts ausmachte. Doch ...
-
Die ganze Zeit über, in der sie Richtung Stadt fuhren, hatte Elli ein Bild im Kopf, das sich ihr eingeprägt hatte. Je näher das Schiff der S...
-
„Sie erträgt es nicht, daß du sie immer tadelst … du mußt damit aufhören …“ „Sie muß es ertragen! So eine Frechheit! Oder ist dieses Benehm...
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen