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Es werden Posts vom Mai, 2025 angezeigt.

5. Kapitel (M)

Bei ihr lief das Lernen so, daß sie jeden Tag zu Hause eine bestimmte Menge auswendig lernte, und was sie nicht konnte, mußte sie es noch einmal lesen, damit sie nichts vergaß. Bevor sie alles auswendig konnte, wie etwa den Katechismus, durfte sie sich nicht vom Tisch wegrühren. Die Tante kam immer wieder vorbei, um sie abzuhören, und wenn Elli ihre Lektion nicht konnte, sagte sie, daß sie ihre Gedanken zusammenhalten sollte, statt sie in andere Richtungen wandern zu lassen, aber Elli konnte deshalb trotzdem nicht besser lernen.

5. Kapitel (L)

Und wenn ihr dann leichter ums Herz wurde, fing Elli an, über ihr Dasein nachzudenken und sich umzusehen. Seltsam war das Leben hier in der Schule und ganz anders als zu Hause. Sie hätte sich so etwas nicht vorstellen können, bevor sie es gesehen hatte. Auch die Zimmer waren nicht so wie im Pfarrhaus, nur Säle und Kammern, keine einzige Stube. Auch das Essen war anders, Butter gab es nicht zu jeder Mahlzeit – Milch schon, aber jeweils nur ein Glas. Und wo kam das eigentlich her, wenn nirgendwo Kühe zu sehen waren? Darüber schrieb Elli an ihre Mutter und auch über andere Dinge … Hier war das Lesen für alle Arbeit, und wenn sie die nicht verrichteten, taten sie gar nichts. Alle lasen, auch die Erwachsen, auch die Tante machte nicht viel anderes …

5. Kapitel (K)

Mit ihnen alberten sie herum und machten sie nach. In den Pausen mußte man von seinem Platz aufstehen und sie anschauen gehen. Sie konnten ihre Stimme genauso klingen lassen wie die der Lehrerinnen und genauso sein wie sie. Und wenn Elli ihnen eine Weile zuschaute, hatte sie das Gefühl, daß sie das gleiche machen könnte. Und zu Hause machte sie alles nach, allein in ihrem Zimmer, doch in der Schule traute sie sich das nicht. Sie fürchtete, daß sich alle um sie scharen würde … und gerade das machte ihr Angst.

5. Kapitel (J)

Dort wohnte sie viele Wochen und tauchte dann und wann in der Schule und anderswo auf, immer ganz plötzlich und ohne es zu wissen. Nach ein paar Wochen fing Elli trotzdem an, sich ein wenig umzusehen, und ab und zu lachte sie auch über schöne Sachen, und das Weinen war versiegt. In der Schule waren auch ein paar nette Mädchen, und mit denen lachte sie sehr, wenn sie Unsinn trieben, während die Lehrer nicht in Sichtweite waren.

5. Kapitel (I)

Auch zu Hause wollte die anfängliche Scheu nicht verschwinden. Sie hatte immer noch Angst, daß sie, wenn sie sich rührte, einen Stuhl umstoßen oder den Teppich schmutzigmachen würde. Oder daß beim Reden ihre Stimme zu laut klingen würde und die ordnungsbewußte Tante sie vorwurfsvoll ansehen würde. Als sie schlafenging, löste sich das Heimweh, das sich im Laufe des Tages in ihrer Herzgegend angesammelt hatte, in bitterlichem Weinen, noch bitterlicher als das von gestern abend. Und auch jetzt erleichterte es sie nur wenig, sondern machte es nur noch schlimmer. Und als sie das einsame kleine Bett sah, empfand sie eine solche Beklemmung, daß sie sich gegen den Tisch lehnte und die Faust auf den Mund drückte, damit kein Schrei aus ihrer Kehle kam. Und als es doch herauskam, mußte sie ins Bett eilen und es im Kissen ersticken. Sie bekam das Gefühl, daß sie an diesem Ort sterben würde, wenn sie nicht nach Hause käme, und dieses Leben nicht bis zum morgigen Tag aushalten würde. Sie mußte wie...